Gedanken- & Spaziergänge im Park: Vorwahlzeit und Dunkelflaute

„Bei unserem letzten Spaziergang hatte ich mich doch geirrt“, sagte Gerd zur Begrüßung. „Ich dachte wirklich, dass die Ampel noch bis zur planmäßigen Bundestagswahl durchhält. Nun ist sie doch zu Ende.“ „Besser ein Ende mit Schrecken als dieser Schrecken ohne Ende“, antwortete ich. „Aber vielleicht stimmt der Ausspruch hier nicht, denn irgendwie geht der Schrecken ja noch weiter, wenn auch auf Schleichwegen.“ „Wieso das?“ „Naja, die ursprüngliche Forderung von Merz war doch, dass der Kanzler nach seiner Regierungserklärung gleich die Vertrauensfrage stellen solle, die Scholz erst für den Januar geplant hatte. Aber in den parlamentarischen Hinterzimmern hatte man sich darauf geeinigt, dass diese Frage nun am 16. Dezember gestellt wird und Neuwahlen im Februar erfolgen könnten.“ „Aber wenn Merz es so eilig gehabt hätte, wie er es zuerst von Scholz gefordert hat, dann hätte er doch ein konstruktives Misstrauensvotum beantragen können, statt auf die Vertrauensfrage des Kanzlers zu warten. Das gab es in der Geschichte der alten Bundesrepublik doch schon zweimal. Beides Mal hatte es die CDU gegen einen SPD-Kanzler beantragt: 1972 scheiterte Barzel damit gegen Willy Brandt, aber 1982 wurde die Regierung von Helmut Schmidt durch das Misstrauensvotum von Helmut Kohl gestürzt.“ „Vielleicht war sich Merz nicht ganz sicher, ob alle FDP-Abgeordneten ihn unterstützt hätten. Auch die Linke und das BSW sind zwei Unbekannte für ihn, da es dahin wohl kaum verbindliche Kontakte gibt.“ „Stell dir vor, die AfD hätte seinen Antrag unterstützt. Die ganze schöne Brandmauer, die für die CDU eine Zwangsjacke ist, wäre zusammengebrochen. Oh Gott, wie wären dann die Grünen, die SPD und alle Medien über Merz hergefallen! Nein, dieses Risiko hat er gescheut.“ „Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, das Risiko besteht am 16. Dezember auch, wenn Scholz die Vertrauensfrage stellt. Denn nach jetziger Sitzverteilung kann die Vertrauensfrage, die Scholz stellen will, nur negativ für ihn ausgehen, wenn die AfD zusammen mit der CDU und der FDP gegen die verbliebene Regierungsmehrheit stimmt. Ansonsten bliebe Scholz Bundeskanzler ohne Mehrheit im Parlament.“ „Also das, was man in den USA als lahme Ente bezeichnet.“

 

Die teure Seite des Stroms

 

Kanzler Scholz hat als Nachfolger für Lindner einen seiner engsten Vertrauten, seinen bisherigen Staatssekretär Jörg Kukies berufen. Interessant dabei ist, dass Kukies von 2010 bis etwa 2018 in höheren Positionen bei der internationalen Finanzfirma Goldman-Sachs gearbeitet hat, ehe er zum Staatssekretär bei dem damaligen Finanzminister Scholz im letzten Kabinett Merkel wurde. „Diese Biografie dürfte Herrn Merz ganz recht sein“, meinte Gerd dazu, „denn nun können SPD-Politiker nicht immer süffisant auf dessen vierjährige Tätigkeit (2016-2020) bei dem internationalen Finanzgiganten BlackRock hinweisen. Über Jörg Kukies wird auch manches andere berichtet. Transparency International, eine Investigativ-Organisation, die sich der Korruptionsbekämpfung widmet, schrieb am 7. November über Kukies, dass er eventuell in Finanzskandale verwickelt sein könne, darunter Cum-Ex und Wirecard, bei denen er jeweils mit kontroversen Entscheidungen und Verbindungen zu Bankvertretern in Verbindung gebracht werde. Was daran wahr ist, wer weiß das schon?“


Ein für uns neues Wort tauchte in letzter Zeit häufiger auf: „Dunkelflaute“. Das ist der Zustand, den Ökostrom-Fans fürchten. Das betraf viele Tage seit Anfang November. Es herrschte grauer Himmel, an vielen Tagen gab es Nebel und es wehte kein Wind. D. h., Solar- und Windenergie lieferten wenig Strom, Fachleute sprechen von einem Tausendstel der geplanten Menge! Folglich musste Atom- und Kohlestrom aus dem Ausland gekauft werden und Erdgas wurde auch vermehrt zur Stromgewinnung herangezogen. Die logische Folge ist eine Erhöhung des Strompreises, der letzte Woche rund das Zehnfache des sonstigen an der Strombörse kostete, wie das Handelsblatt schrieb. Bei solch einem massiven Anstieg spüren viele Industriebetriebe, die Strom kurzfristig einkaufen, besonders krass die Auswirkungen dieser Preise. Zudem wird bei solch hohen Stromkosten die Produktion unwirtschaftlich. Es mag Zufall sein, aber mitten in der Dunkelflaute wurde am 10. November der Schornstein des modernsten Kohlekraftwerkes in Deutschland, Moorburg bei Hamburg, gesprengt. Dieses Kraftwerk wurde ab 2007 für 3 Milliarden Euro gebaut und ging 2015 in Betrieb. Aufgrund der Klagen von Naturschützern stellte der europäische Gerichtshof 2017 fest, dass verschiedene Vertragsbedingungen nicht eingehalten worden wären und Ende 2020 stellte das Kraftwerk den Betrieb ein. Als jetzt die Sprengung des Schornsteines erfolgte, sagte der grüne Hamburger Senator für Umwelt Jens Kerstan: „Das ist ein schöner Tag für Hamburg. Wir werden hier Raum und Platz für die Zukunftsenergie schaffen am Standort eines alten Kohlekraftwerks.“ An die Stelle der Energie aus Steinkohle soll nun grüner Wasserstoff treten, der auf dem Gelände von Moorburg erzeugt werden soll. Aber hier überholten die Tatsachen die grünen Fantasien, denn die beteiligte Firma HH2H, die auf Wasserstofftechnologie spezialisiert ist, meldete zwei Tage nach Sprengung des Schornsteines Insolvenz an! Davon ist übrigens auch das Vorzeigeprojekt der Firma am Ostseehafen Lubmin betroffen, in dem ab 2026 jährlich 6.000 Tonnen grüner Wasserstoff mithilfe überschüssiger erneuerbarer Energie hergestellt werden sollte.

 

Hofierung einer Diktatur

 

„Gut, dass wir mal wieder beim Klima sind“, sagte Gerd. „In Baku läuft gerade die große Weltklimakonferenz, zu der Zigtausende angereist sind, ohne Rücksicht auf ihren CO2-Fußabdruck. Der Generalsekretär der UNO, Guterres, mahnte pflichtgemäß wieder mal, das 1,5-Grad-Ziel zu beherzigen, das auf der Pariser Klimakonferenz beschlossen wurde. Wo doch Klimaforscher wie der Potsdamer Mojib Latif gerade erklärt haben, dass dieses Ziel illusorisch sei und man auf die 3 Grad Celsius Temperaturerhöhung zusteuere.“ „Was mich viel mehr stört,“ antwortete ich, „ist, dass diese Konferenz in Aserbaidschan stattfindet. Dieses Land trägt doch als großer Öl- und Gasexporteur erheblich zum CO2-Ausstoß bei. Wenn ich daran denke, wie albern sich EU-Politiker gegenüber Orban und Ungarn in letzter Zeit verhalten haben, dann staune ich, wie sie Aserbaidschan hofieren, eine Diktatur, in der keine Meinungsfreiheit herrscht, Frauenrechte beschnitten werden und die 2020 einen Angriffskrieg gegen Armenien geführt hat, das armenische Berg-Karabach annektierte und die dort lebenden Armenier vertrieb.“ „Mich wundert das nicht, denn alle brauchen Öl und Gas!“


Nach dem Fußballspiel von Ajax Amsterdam gegen Maccabi Tel Aviv am 7. November kam es zu Gewalt gegen angereiste israelische Fußballfans. Ein Kommentator unserer Tageszeitung meinte, dass das eine Schande für Europa sei. „Wieso soll das eine Schande für ganz Europa sein, wenn aggressive arabischstämmige Niederländer israelische Fußballanhänger verfolgen?“, fragte Gerd. „Das ist doch wohl eher eine Frage der Polizei vor Ort, wie man das verhindert. Paris hat gezeigt, wie man solchen Exzessen vorbeugen kann.“ „Es hat doch etwas mit dem Krieg im Nahen Osten zu tun. Aber wie im Fernsehen zu sehen war, schienen auch die israelischen Fans nicht ganz unschuldig daran zu sein. Auf dem Weg zum Stadion sangen sie palästinafeindliche Gesänge und rissen auch palästinensische Fahnen herunter. Offenbar gibt es bei Fußballfans immer eine aggressive Gruppe, egal wo sie herkommen und für welche Mannschaft sie eintreten.“ „Das stimmt, ganz im Gegensatz zu Handballfans. Woran das wohl liegt?”

 

Antisemitismus?

 

Aber noch mal zurück zu dem Kommentar, dort steht auch: Das sind keine Fan-Krawalle, das ist purer, hasserfüllter Antisemitismus. Palästinenser aber sind wie alle Araber Semiten. Wie kann das Antisemitismus sein, wenn Semiten auf Semiten einprügeln? Hier sieht man wieder einmal, wie falsch der Begriff ist. Richtig wäre von Judenhass und Israelfeindschaft zu sprechen. Nicht nur Journalisten, sondern Politiker gebrauchen diesen Begriff immer wieder falsch.“ Ich klopfte Gerd auf die Schultern und sagte: „Naja, die lesen eben nicht unsere kompakt! Im 1. Novemberheft vor einem Jahr wurde die Herkunft und der fälschliche Gebrauch dieses Wortes Antisemitismus ausführlich erläutert.“ „Richtig, doch die Sorge ist, dass bei dem Auftreten einer israelischen Mannschaft in einer Großstadt wie Berlin, Köln oder Hamburg, wo sogar das Kalifat ausgerufen werden sollte, vielleicht Ähnliches passieren könnte. Der Hamburger Landesrabbiner Shlomo Bistritzky, ein führender Vertreter des deutschen Judentums, erklärte kürzlich in der NZZ, warum es für ihn bei der Bundestagswahl nur um die eine Frage gehe: Welche Partei verhindert Zustände wie in Amsterdam? Er habe in einem der sozialen Medien dazu aufgerufen, dass Juden nur solch eine Partei wählen dürften, worauf ihm viele Menschen geschrieben und gefragt hätten: Müssen wir jetzt die AfD wählen?“ „Ich bin gespannt, wie diese Wahl ausgeht. Am Wochenende war in unserer Zeitung zu lesen, dass verschiedene Landtagsabgeordnete einschließlich der Innenministerin darüber debattieren, AfD-Mitgliedern, die einen Waffenschein und eventuell Waffen besitzen, zu überprüfen und ihnen diese Erlaubnis und Waffen wegzunehmen. Die allermeisten der dann Betroffenen dürften unbescholtene konservative Bürger sein. Ich frage mich, ob die, die so etwas fordern, nicht merken, dass sie damit unbeabsichtigt Wahlhilfe für die AfD betreiben?“

               
Paul F. Gaudi

 

Buch-Tipp: Die Kolumnen von Paul F. Gaudi sind als Buch unter dem Titel „Der Spaziergänger“ Teil I (Nr. 1 bis 54) und Teil II (Nr. 55 bis 100) erhältlich. Frisch erschienen ist jetzt Teil III. Die Bücher können im KOMPAKT Medienzentrum erworben oder online unter www.kompakt.media bestellt werden.

Nr. 268 vom 19. November 2024, Seite 7

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