„Unser Herz schlägt für dieses Theater“
Seine erste Spielzeit hat der neue Generalintendant des Theaters Magdeburg, Julien Chavaz, am Theater Magdeburg hinter sich. Einiges hat sich unter neuer Führung verändert. Birgit Ahlert unterhielt sich mit ihm über das vergangene Jahr, seine Erfahrungen in Magdeburg und die neue Spielzeit, die am 9. September mit einem Theaterfest eröffnet wird.
Kompakt: Herr Chavaz, Sie sind seit rund einem Jahr Generalintendant – sind Sie schon Magdeburger geworden?
Mit der Vorbereitungszeit bin ich seit anderthalb Jahren hier, und ja, ich fühle mich angekommen.
Wie war die erste Spielzeit für Sie?
Ich bin auf zwei Ebenen sehr glücklich. Zunächst künstlerisch: Trotz der Änderungen, unserer neuen Träume und Wünsche ist das Publikum nicht nur sehr, sondern extrem treu geblieben. Das führt zum zweiten Aspekt: Der Kartenverkauf ist sogar besser als 2019 – und das trotz des postpandemischen Aspekts und der Inflation, die sich auf unsere Besucher auswirken. Natürlich gibt es immer Inszenierungen, die mehr funktionieren als andere – das ist bei jedem Theater so. Bei einigen gehen wir ganz bewusst mehr auf Risiko, denn wir haben ein öffentliches Mandat, die Kunst zu erneuern, Ideen auszuschöpfen. Auch aus persönlicher Perspektive bin ich glücklich, fühle mich sehr wohl im Miteinander. Wir sind ein tolles Team. Die Zusammenarbeit macht Spaß und motiviert sehr.
Theaterbesucher haben das Gefühl, Sie waren bei jeder Inszenierung dabei …
Bis auf eine habe ich alle gesehen. Das ist für mich normal. Nicht als Pflicht, ich habe Freude an all diesen Vorstellungen. Sie sehen mich bei den Premieren und anderen Aufführungen, aber ich bin auch viel bei den Proben dabei. Dort kommt man gut in den Austausch mit den Künstlern und den Gästen, die wir zu uns einladen.
Was war die größte Herausforderung für Sie in Ihrer ersten Spielzeit?
Das Publikum kennenzulernen. Es ist in jeder Stadt, bei jedem Theater anders. Bei einem Intendantenwechsel sind die Besucher immer etwas skeptisch. Wechsel bringen Neues mit sich. Man hat mir vorab bei einigen Vorhaben gesagt, das funktioniert nicht in Magdeburg, auch der Humor sei ganz anders als ich es aus Frankreich oder der Schweiz kenne. Heute weiß ich, diese Sorgen sind unberechtigt. Dass es funktioniert, wie wir es machen, darüber bin ich sehr froh.
Welche Inszenierungen waren für Sie die Höhepunkte?
Darauf gibt es nicht die eine Antwort. Das Tanzstück „Le Sacre du Printemps“ von Edward Clug gehört auf jeden Fall dazu. Es ist eine internationale Choreografie, die in großen, wichtigen Theaterhäusern gespielt wird, die über einen größeren Etat und ein größeres Ballett verfügen. Dass wir das in Magdeburg bieten konnten und es funktioniert hat, freut mich sehr.
Sie haben die Besucherzahlen bereits angesprochen. Viele Kultureinrichtungen kämpfen seit der Pandemie um ihre Existenz. Wie konnten Sie das Publikum gewinnen?
Es gibt kein Rezept, das für alle gültig ist. Wir kommunizieren mit guter Laune, unsere Plakate sind bunt und auffällig und wir bieten Inszenierungen, die etwas zu sagen haben. Wir sind viel mit dem Publikum im Gespräch, das gefällt. Beispielsweise lädt unser Ballettdirektor jeden Monat in die Stadtbibliothek ein, stellt seine Tänzerinnen und Tänzer vor. Das sind kleine, wichtige Schritte für das Miteinander. Unser Herz schlägt für dieses Theater, das spürt das Publikum. Es spürt auch die Bewegung – und das Publikum möchte Teil davon sein.
Glauben Sie, mit Veranstaltungen wie in der Stadtbibliothek können Sie Barrieren nehmen bei jenen, die vielleicht sonst nicht ins Theater gehen?
Ein Stadttheater hat immer mit Identifikation zu tun. Ich glaube, das Publikum freut sich, die Künstler persönlich kennenzulernen und sie dann auf der Bühne zu erleben. Das ist wie im Fußball, wenn sich die Fans mit den Spielern identifizieren. Dieses Miteinander muss man pflegen. Das sind kleine Schritte, die Verbindung schaffen.
Sie hatten im vorigen Jahr angekündigt, andere Spielstätten zu erschließen. Wie ist der Stand?
Wir haben viele Pläne, gemeinsam mit dem Puppentheater und dem Kunstmuseum beispielsweise. Wir kooperieren mit der Bibliothek, bringen uns in die Kulturnacht ein und wollen den Stadtraum erschließen. Ein großes Projekt entsteht mit dem Telemannzentrum anlässlich der 26. Magdeburger Telemann-Festtage 2024. Gemeinsam werden wir Telemanns Oper „Sieg der Schönheit“ auf die Bühne bringen.
Wir sind die größte Kultureinrichtung der Stadt, das verpflichtet nicht nur, mit anderen zusammenzuarbeiten, wir haben auch Spaß daran.
Eine andere Art der Zusammenarbeit gab es bereits mit dem Kabarett Zwickmühle Magdeburg und das Theater unterstützte andere Ensembles bei der Ausstattung. Ist das Ihre Philosophie oder wie kam es dazu?
Es ist nicht nur meine, sondern die Philosophie von vielen Theatermenschen. Wir arbeiten mit öffentlichen Geldern und sind das am meisten subventionierte Haus in dieser Stadt. Wir sehen es als Pflicht, mit anderen zusammenzuarbeiten. Unser Fundus ist groß, ein richtiger Schatz, und es ist uns eine Ehre, diesen auch für andere zur Verfügung zu stellen.
Die vergangene Spielzeit bot zum Teil provokante Inszenierungen. Die Reaktionen des Publikums waren sehr unterschiedlich. Wird das Theater weiter in diese Richtung gehen?
Es wird eine Mischung aus riskanten Versuchen und konventionellen Inszenierungen. Es ist nicht nur wichtig, dass sich das Theater weiterentwickelt und neue Wege erforscht. Auch in Zukunft wird es für alle Geschmäcker weiterhin ein breites Angebot geben. Wobei auch einige der heutigen konventionellen Inszenierungen in früheren Zeiten zu den experimentellen zählten. Uns geht es um eine Balance zwischen Sicherheit und Risiko. Dabei erleben wir manchmal große Überraschungen. „Alice im Wunderland“ beispielsweise ist eine unkonventionelle und damit eigentlich riskante Oper. Doch es wurden mehr Karten dafür verkauft als für Opern von Richard Strauß oder Donizetti. Auch „Meister Röckle“ war ein Versuch – nach einem Monat waren alle Vorstellungen ausverkauft. Es ist schön, dass man nicht alle Erfolge oder Misserfolge planen kann.
Sie hatten mehr Internationalität angekündigt. Auf der Bühne sind internationale Künstler zu erleben, Regisseure und Choreographen wurden ans Haus geholt. Wo sind die anderssprachigen Inszenierungen?
Wir arbeiten international, aber wir wollen mehr. Zu unseren Vorhaben gehören englische Übertitel. Das ist ein Zukunftsthema. Natürlich fängt die Zukunft jetzt an, mit dem Zuzug von Intel und anderen Unternehmen. Die Stadt wird sich extrem internationalisieren. Auch wir gehen als Theater internationale Wege.
Wo sehen Sie das Magdeburger Theater in der Theaterlandschaft?
Präsent und relevant. Unsere Inszenierungen werden national und international rezensiert. Wir werden an andere Theater und zu Festivals eingeladen. Für Aufmerksamkeit sorgt auch unsere ungewöhnliche Leitung, die Dreier-Direktion im Schauspiel ist ein Novum in Deutschland. Im Opernbereich teilen wir Aufführungen mit anderen Ländern, haben Kooperationsverträge. „Die Liebe zu den drei Orangen“ von Prokofjew im nächsten Jahr ist eine Koproduktion mit Frankreich und der Schweiz. Vorbereitet wird zudem eine Produktion mit Belgien, der Schweiz und Frankreich. Unsere Inszenierung „Eugen Onegin“ wurde an das größte Theater Italiens eingeladen und in dieser Spielzeit ist sie in Frankreich zu erleben. Magdeburg ist ein wichtiges Puzzleteil in der Opernlandschaft. Unter anderem, weil wir wunderbare Werkstätten haben. So einen Schatz gibt es nur noch selten. Das macht uns im Wettbewerb und bei der Zusammenarbeit mit anderen Theatern sehr stark.
Ist Ihr Vorhaben gelungen, mehr jüngeres Publikum anzulocken?
Eine Statistik gibt es nicht. Optisch betrachtet ja. Nicht nur am Schauspielhaus, auch am Musiktheater. Zu „Alice im Wunderland“ kamen sehr viele junge Menschen, die man bei konventionellen Opern nicht unbedingt als Grundpublikum ansieht.
Das Publikum ist auch „bunter“ geworden. Veranstaltungen wie „Kasino Didine“ brechen offenbar Grenzen auf …
Ein Mehrspartentheater wie unseres ist für ein breites Publikum da. Wir sehen es als unsere Pflicht, ein diverses Publikum anzusprechen. Nicht jeder in Magdeburg muss alles toll finden, was wir machen. Aber es ist mein Anliegen, dass jede und jeder mindestens einmal in der Spielzeit thematisch angesprochen wird.
Die nächste Spielzeit startet im September. Was werden die Höhepunkte sein?
Das ist immer die schlimmste Frage für einen Intendanten, da alle Inszenierungen ihren Platz haben. Ein Highlight wird auf jeden Fall das Telemann-Projekt sein, in Zusammenarbeit mit der Akademie für Alte Musik Berlin, Akamus, einem der wichtigsten Orchester für Barockmusik in Deutschland.
Eine Ehre für uns ist die Rückkehr von Andreas Kriegenburg ans Schauspielhaus. Er hat hier als Requisiteur angefangen, wird jetzt überall als wichtiger Regisseur gefeiert und kommt zu uns zurück, um „Timon von Athen“ zu inszenieren. Spannend wird auch „Fidelio“, in der Regie der Gewinnerin des Europäischen Opernregie-Preises Ilaria Lanzino.
Was zählt eher zu den Wagnissen?
Es wird einen Ballettabend im Schauspielhaus geben, bei dem es um Modernität und Vielfalt geht. Er wird gestaltet von zwei Gast-Choreographen, die Tanz sehr divers verstehen. Dabei sind Elemente, die man mit Hip Hop vergleichen könnte. Die Schauspielbühne bietet dazu eine besondere Nähe zwischen Publikum und Künstlern. Das ist bewegend, besonders in den emotionalen Szenen.
Außerdem bereiten wir ein Projekt über das hochangesehene, aber gar nicht einfache „Blutbuch“ von Kim de l’Horizon vor. Der Roman ist eine Sensation und trifft genau die aktuellen Fragen unserer Gesellschaft. Wir freuen uns, dass wir die Rechte bekommen haben, dazu einen Theaterabend zu gestalten.
Was werden Sie inszenieren?
Zunächst „Die Blume von Hawaii“ von Paul Abraham, eine Operette, die das Magdeburger Publikum bereits kennt. Wir bieten jedoch eine neue Fassung, mit anderem musikalischen Arrangement und neuen Dialogen. Mit „Menschen am Buffet“ gibt es eine Entwicklungsproduktion, die Schauspiel und Musiktheater verbindet. Zum Spielzeitende folgt die Mozart-Oper „Die Hochzeit des Figaro“.
Gib es personelle Veränderungen am Haus?
Keine großen. Bei einem Unternehmen mit 450 Mitarbeitern sind Wechsel normal. Aber das Ensemble hat zusammengefunden und bleibt so. Wir sind stabil aufgestellt für die neue Spielzeit.
Sie starten erneut mit einem Theaterfest. Was wird geboten?
Wir beginnen die Spielzeit mit der Premiere „Die Blume von Hawaii“ am Freitag, am 8. September, im Opernhaus. Weitere Premieren gibt es am Wochenende mit „Wolf“ und „Jagdszenen“ im Schauspielhaus.
Zum Theaterfest laden wir am Samstag ab 13 Uhr ins Schauspielhaus ein, am Sonntag ab 11 Uhr ins Opernhaus. Die Besucher erwartet ein tolles Rahmenprogramm, bei dem das Publikum einbezogen wird. So können die Gäste gemeinsam mit dem Opernchor singen – eine Chance, die man sonst nicht hat. Es gibt Angebote für Familien, Einblicke in kommende Inszenierungen und die Möglichkeit, hinter die Kulissen zu blicken. Wir freuen uns auf viele Begegnungen!
Einblick in die neue Spielzeit
• 24 Premieren: 8 im Musiktheater, 13 im Schauspiel, 3 im Ballett
• 10 Uraufführungen: 4 x Ballett, 3 x Schauspiel, 3 x Magdeburgische Philharmonie
• 1 Deutschsprachige Erstaufführung im Schauspiel
• Konzerte: 10 Sinfoniekonzerte und 6 Kammerkonzerte
• Beim DomplatzOpenAir 2024 heißt es „Liebe stirbt nie“, mit der Fortsetzung von Andew Lloyd Webbers „Phantom der Oper“
• Composer in Residence des Theaters Magdeburg ist in diesem Jahr Elena Kats-Chernin
• Details unter: www.theater-magdeburg.de
Seite 14-15, Kompakt Zeitung Nr. 239