Gedanken- & Spaziergänge im Park: The Germans to the front?
Die Klimakonferenz in Baku ging zu Ende mit einem Ergebnis wie das berühmte Hornberger Schießen, d. h. ohne besondere Resultate. Die Entwicklungsländer beklagten sich, dass es zu wenig Geld gäbe, und die Gebernationen erhöhten den Fond nur geringfügig. Es bleiben einige Ungereimtheiten. Wieso bekommt Indien Geld zur Unterstützung gegen die „Klimakrise“, wo es doch selbst einer der großen Verschmutzer ist, viel Geld für eine Mondlandung aufwendet und Atomwaffen besitzt? Die Frage ist auch, ob verschiedene afrikanische Länder selber genug tun. Manche dieser Länder haben noch feudale Gesellschaften mit sich bereichernden Oberschichten. Gerd wunderte sich, dass sich anscheinend keiner über die „CO2-Fußabdrücke“ der vielen tausend Angereisten Gedanken macht, wo doch der warnende Zeigefinger vorgehalten wird, wenn jemand im vollbesetzten Flugzeug weit in den Urlaub fliegt. So manche der in Baku angereisten Oberen saßen nur mit ein paar Mitarbeitern und Journalisten in großen Flugzeugen! Was Gerd aber am meisten erstaunte, ist, dass anscheinend niemand die CO2-Bilanz der Kriege in der Ukraine oder in Gaza und im Libanon bezifferte: „Das müssen noch riesige Mengen an CO2 sein, die durch die vielen Fahrzeuge und Panzer entstehen, wenn tausende Granaten explodieren, durch Raketenangriffe große Brände entfacht werden und ganze Öl- und Munitionslager in Brand geraten oder explodieren. Wäre das nicht eine dankbare Aufgabe für Klimakleber, sich an die Panzer und Geschütze zu kleben?“, meinte er. „Die sind doch nicht blöd“, antwortete ich ihm, „die wissen doch ganz genau, wo sie risikolos und zumeist straffrei ihre Aktionen durchführen können.“
„Da wir gerade vom Krieg sprechen“, sagte Gerd, „verstehst du, warum alle von Deutschland verlangen, dass es seine Marschflugkörper Taurus an die Ukraine liefert? Selbst das EU-Parlament hat das mit großer Mehrheit vor wenigen Tagen von Deutschland verlangt. Frankreich, Großbritannien und wer weiß, wer sonst noch, haben auch solche Waffen! Warum ausgerechnet wir Deutschen, wo wir zwei Weltkriege mitgemacht und erlitten haben, wobei der zweite durch uns vom Zaun gebrochen wurde? Nun wollen wir friedlicher sein – und schon ist das einigen nicht recht.“ „Manche Politiker sind darauf noch stolz und blasen in das gleiche Horn. Übrigens, das hatten wir in einem viel kleineren Maßstab schon mal: 1900 gab es in China den sogenannten Boxeraufstand, der sich gegen die europäischen und amerikanischen Einflüsse richtete. Das Gesandtschaftsviertel in Peking wurde zur Festung, die von Aufständischen und der kaiserlich-chinesischen Armee belagert wurde. Eine Allianz aus amerikanischen, britischen, französischen, deutschen, italienischen, japanischen und russischen Truppen rückte in China ein, um die Eingeschlossenen zu befreien. Dabei kam es auf dem Vormarsch am 26. Juni in der Nähe der Stadt Tianjin zu einem Gefecht mit den Chinesen. Die Engländer als Spitze der vorrückenden Truppen stießen auf starken Widerstand. Daraufhin erteilte der Oberkommandierende des Kontingents, Admiral Seymour, den berühmten Befehl: „The Germans to the front.“ Worauf die deutschen Marinesoldaten an die Spitze rückten und nun vom feindlichen Feuer empfangen wurden. Die deutsche Presse berichtete damals mit Stolz über diesen Vorfall, bei dem die Deutschen ihren Kopf hinhielten. Heute heißt es in Bezug auf Taurus wieder: „the Germans to the front“, und wieder gibt es deutsche Politiker, die solche Forderung am liebsten erfüllen möchten!“
„Ich finde“, sagte Gerd, „in der Bevölkerung gibt es eine eigenartige Stimmung. Als ob viele eine untergründige Furcht vor einem möglichen Krieg haben. Das war zuletzt vor 40 Jahren so, bis Gorbatschow an die Macht kam und der kalte Krieg ein Ende fand. Egal, ob danach irgendwo in der Welt eine bewaffnete Auseinandersetzung stattfand, in Mitteleuropa fühlte man sich in einer friedlichen Gegend – vom zerfallenen Jugoslawien mal abgesehen. Und dieses Gefühl ist jetzt vorbei.“ „Die Regierenden scheinen ähnlich zu denken. Kürzlich war zu lesen, dass man die stillgelegten Bunker wieder in Betrieb nehmen möchte und man erwartet, dass private Kellerräume in Wohnhäusern verstärkt würden. Kriegstüchtig machen, heißt das heute. Ich erinnere mich noch an die Luftschutzkeller meiner Kindheit. An den Häusern stand mit großer weißer Schrift LSK und ein Pfeil, der auf den Keller verwies. Vor den Kellerfenstern standen Betonklötze.“ „Der Krieg zwischen Russland und der Ukraine erinnert mich an den Spanienkrieg. Dort wurden damals moderne Waffen von den unterstützenden Staaten Deutschland und Sowjetunion ausprobiert und drei Jahre später war der Weltkrieg da. Und manche Politiker und Schreibtischstrategen fordern jetzt den Einsatz modernster Waffen. Ich kann mir nicht helfen, aber ich habe das Gefühl, in einer Vorkriegssituation zu leben.“ „Das geht mir ähnlich. Übrigens wäre das keine gute Nachricht für alle Transfrauen, also die Männer, die sich als Frauen fühlen und sich zu solchen umschreiben lassen.“ „Wie kommst du denn da drauf?“ „Nun, im § 9 des Selbstbestimmungsgesetzes steht, dass die rechtliche Zuordnung einer Person zum männlichen Geschlecht, soweit es den Dienst mit der Waffe betrifft, für die Dauer eines Spannungs- oder Verteidigungsfalls bestehen bleibt. D. h., dass die neu gewordene Ottilie in solch einem Fall wieder als Otto Normalverbraucher behandelt wird und zu den Waffen gerufen werden kann. Das gilt laut Gesetz für alle, die schon in den zwei Monaten vor einem ausgerufenen Spannungsfall ihre Umwandlung erklärt haben. Die Frage ist nun, was ist ein Spannungsfall? Ist der jetzt schon da oder erwarten wir ihn erst?“ „Interessant ist der Passus schon. Er scheint zwischen den Zeilen anzudeuten, dass die Schöpfer des Gesetzes gewisse unausgesprochene Zweifel an einer lebensverändernden Entscheidung haben, die man jedes Jahr ändern könnte.“
Mandate für Silberlocken?
„Was mich aber bei der Diskussion über Krieg und Frieden in der Ukraine stört,“ fuhr ich fort, „ist, dass viele, die für einen baldigen Friedensschluss eintreten, als Putin-Freunde diffamiert werden. Du weißt, dass mir dieser Mensch widerlich ist und dass ich ihn für einen Diktator halte, der das zaristische oder stalinistische große Kolonialreich Russland neu errichten möchte – natürlich unter seiner Führung!“ „Was redest du da von Kolonialreich?“ „Nun, die Zaren waren so klug, keine überseeischen Kolonien besitzen zu wollen. Sie bauten einfach an, indem sie die baltischen, kaukasischen und mittelasiatischen Gebiete besetzten und die Länder und Völker dem zaristischen Russland angliederten. Die einzige überseeische Kolonie war Alaska, das die Russen zu Ende des 18. Jahrhunderts stückweise besetzten und Russisch-Amerika nannten. Das kostete aber mehr als es einbrachte. Deshalb verkaufte Russland Alaska für 7,2 Millionen Dollar an die USA. Ein Geschäft, dass Stalin und heute Putin sicher gern rückgängig gemacht hätten. Ich halte Putin für einen Kriegsverbrecher und bin dennoch für einen Frieden. Denn die westlichen Demokratien können noch so viele Waffen und Geld in die Ukraine pumpen: die Zahl der wehrfähigen Ukrainer nimmt unersetzbar von Tag zu Tag ab. Das weiß Putin und kauft nordkoreanische Söldner ein, wer weiß für welchen Preis. Die armen Kerle tun mir leid. Möchte wissen, was deren Politoffiziere ihnen weisgemacht haben, für was und warum sie in weiter Ferne ihr Leben hergeben sollen.“
Kürzlich hat Herr Merz auf dem Mittelstandsforum in Berlin Wähler und Sympathisanten der AfD als „Gesindel“ bezeichnet, ruderte aber am nächsten Tag etwas zurück, indem er erklärte, nicht die Abgeordneten der AfD im Bundestag gemeint zu haben. Seine Rhetorik sollte vermutlich der Erhöhung der „Brandmauer“ nützen. Allerdings spricht das nicht für ein Demokratieverständnis den Wählern gegenüber. Wenn es um die Macht geht, kann man auf Brandmauern mal verzichten, wie es in Brüssel geschah. Nachdem schon vor Monaten Frau von der Leyen und Frau Meloni aus Italien sich freundschaftlich umarmten, drohte in der EU fast eine Krise, als Raffaele Fitto für den Posten eines der 27 Kommissare und sogar zu einem der Vizepräsidenten der Kommission vorgeschlagen wurde. Fitto gehört, wie auch Meloni, der Partei Fratelli d’Italia an, die oft mit der Bezeichnung „postfaschistisch“ attribuiert wird – einem Attribut, dass man der AfD unseres Wissens noch nie zugeordnet hat. Nichtsdestotrotz setzte sich Manfred Weber, der Vorsitzende der europäischen Volkspartei (EVP), die in etwa unserer CDU/CSU entspricht, vehement für die Wahl dieses angeblichen „Postfaschisten“ ein – mit Erfolg, Fitto wurde gewählt. Es gibt in verschiedenen europäischen Ländern, einschließlich des EU-Parlaments, sehr starke rechte, zum Teil auch rechtsextremistische Parteien. Aber kein anderes europäisches Land kommt auf die Idee, diese als verfassungsfeindlich zu bezeichnen und sie nach Möglichkeit verbieten zu wollen. Das scheint ein bundesdeutsches Alleinstellungsmerkmal zu sein. „Gibt es auch was Heiteres?“, fragte ich. „Ja“, sagte Gerd, „die Aktion Silberlocke der Linken. Ausgerechnet drei „alte weiße Männer“, also die Sorte Menschen, die nach Ansicht einiger linker Frauen für alles Schlimme in der Welt verantwortlich sein sollen, bieten sich an, der Linken Mandate und Diäten zu erhalten.“ „Ist schon putzig. Aber noch spannender wäre die Möglichkeit, dass die durch Merz laufend gekränkte AfD bei der Vertrauensfrage durch Scholz im Dezember nicht gegen ihn, sondern für ihn stimmen würde. Bliebe er dann im Amt? Oder träte er freiwillig zurück, wie 2020 Kemmerich in Thüringen, da er von der AfD unterstützt wurde? Was dann? Das wäre mal wieder ein spannendes Szenario im Bundestag mit völlig offenem Ausgang.“
Paul F. Gaudi
Buch-Tipp: Die Kolumnen von Paul F. Gaudi sind als Buch unter dem Titel „Der Spaziergänger“ Teil I (Nr. 1 bis 54) und Teil II (Nr. 55 bis 100) erhältlich. Frisch erschienen ist jetzt Teil III. Die Bücher können im KOMPAKT Medienzentrum erworben oder online unter www.kompakt.media bestellt werden.
Nr. 269 vom 3. Dezember 2024, Seite 7
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